Bürgergeld: Deutschland muss Druck auf Ukrainer erhöhen, damit sie arbeiten oder kämpfen - Meinung (2024)

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Bürgergeld: Deutschland muss Druck auf Ukrainer erhöhen, damit sie arbeiten oder kämpfen - Meinung (1)

Neulich fiel mir auf, dass an der bayerischen Landesvertretung in Berlin keine ukrainische Flagge mehr hing (und auch keine israelische). Die Landesvertretung ist ein großer, alter Prachtbau gegenüber der Komischen Oper in der Stadtmitte, beste Lage also, auch für politische Statements, man kann von dort das russische Botschaftsgelände sehen. Die blau-gelbe Fahne war seit Kriegsausbruch vor mehr als zwei Jahren ein Zeichen der Solidarität mit dem angegriffenen Land und mit den Opfern. Kann es sein, dass sich in Deutschland gerade die Stimmung dreht?

In den Forsa-Umfragen für RTL und n-tv steht der Krieg in der Ukraine jedenfalls zum ersten Mal seit Langem nicht mehr auf Platz 1 der »wichtigsten Themen«. Die tiefe West-Ost-Spaltung bei den Fragen nach mehr Waffen, finanzieller Unterstützung oder Friedensverhandlungen mit Russland zahlt bei AfD und neuerdings beim BSW gehörig ein. Das lässt einiges ahnen für die im September anstehenden Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern. Kluge Köpfe würden jetzt vorbauen: Es ist offenkundig, wie leicht sich der deutsche Ukraine-Kurs von diesen zwei selbst ernannten »Deutschland zuerst«-Parteien verhetzen lässt. Schließlich…

  • … kostet die Unterstützung der Ukraine und der Flüchtlinge jährlich in etwa so viel, wie im Haushalt 2025 als »Etatloch« fehlt.

  • … gehen die ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland zu einem deutlich kleineren Teil arbeiten als in anderen westeuropäischen Ländern.

  • … haben mehr als eine Million ukrainische Flüchtlinge statistisch die Armut in Deutschland vergrößert, weil sie als Bürgergeld-Empfänger mitgezählt werden, auch ihre minderjährigen Kinder.

  • … ist es ein schwieriges Paradox, dass deutsches Geld der Ukraine Waffen für den Abwehrkrieg finanziert, aber zugleich deutsches (Bürger-)Geld der Ukraine Soldaten für den Krieg indirekt entzieht. Natürlich sind deutsche Behörden nicht dazu da, Ukrainer zum Kriegsdienst zu pressen, weder materiell noch moralisch. Aber sind sie dazu da, sie unabsichtlich davon freizukaufen?

Natürlich wäre keiner dieser Punkte gelöst, wenn die Ukraine zum Frieden genötigt würde, wie es AfD und BSW gern hätten. Vermutlich kämen sogar noch mehr Flüchtlinge, und das Gegenteil wäre erreicht. Wenn es aber »einfache Lösungen nicht gibt«, wie die Linke und die Grünen barmen, dann sollte man mit der Suche nach komplizierten ja wohl eher früher als später beginnen. Der freundliche Konservative von nebenan rät jedenfalls: Arbeiten oder kämpfen, das ist die Losung – und die Lösung.

Das nimmt zwar nicht den Druck vom Einzelnen, zu entscheiden, ob er für sein Land, die Ukraine, kämpfen will oder nicht. Ob er vielleicht einen gleichaltrigen Vetter an der Front hat und dennoch lieber in Heidelberg Kunst studiert oder kellnert. Aber was er auch tut – arbeiten oder kämpfen – es nimmt den finanziellen und vor allem den politischen Druck vom deutschen Sozialsystem, das ihm diese Wahl ermöglicht. Die Faustformel für das Geld lautet: 100.000 Bürgergeld-Arbeitslose in Arbeit entlasten Sozialkassen und Fiskus um zwei bis drei Milliarden Euro jährlich. Und für die Politik: Würden mehr Ukrainer arbeiten, hätten AfD und BSW weniger zum Neid schüren und Ätzen. Besonders gilt das für die geschätzt 250.000 wehrfähigen ukrainischen Männer.

Darum ist alles richtig, was den Druck erhöht, eine Arbeit anzunehmen. Und erst recht alles, was die Behördenbürokratie überwindet, die sich dem entgegenstellt. Man war doch auf der richtigen Spur, indem die Ukrainer nicht durch das Asylsystem geschleust wurden wie einst die syrischen Kriegsflüchtlinge. Stattdessen bekamen sie mit ihrem Status sofort Bürgergeld, und ja, das sind rund hundert Euro im Monat mehr, als Asylbewerber erhalten. Aber die Ukrainer sollten sofort arbeiten dürfen, was Asylbewerber eben nicht dürfen (irgendjemand muss den Unterschied noch einmal dem FDP-Generalsekretär und Herrn Dobrindt erklären, das tut beim Zuhören wirklich weh). Wenn auf diesem Wege genügend Ukrainer in den letzten zwei Jahren Arbeit aufgenommen hätten, notfalls zunächst unterhalb ihrer ursprünglichen Ausbildung – dann bräuchten sie heute keinen Deutschkurs mehr, und niemand könnte sie im Wahlkampf als »teuer, feige und faul« verhetzen.

Wer die Arbeitsaufforderung für unmenschlichen Druck auf Geflüchtete hält und das Gebolze von CDU oder CSU für Populismus, der mag das tun. Er sollte sich freilich zweierlei vor Augen führen: Den Druck, zur Not eine Zeit lang unterhalb der eigenen Qualifikation zu arbeiten, haben auch Millionen Arbeitslose in Deutschland für weit mehr als ein Jahrzehnt ausgehalten. Man nannte es Hartz 4, in der Folge halbierte sich die Arbeitslosigkeit und der Sozialstaat war saniert, bis absurderweise die SPD der Erfolgsgeschichte ein Ende machte. Zweitens: Der Druck, jetzt zu arbeiten, ist nichts im Vergleich zu dem, was ukrainischen Flüchtlingen bevorsteht, wenn erst einmal jene (mit-)regieren, die Putin am liebsten jeden Morgen die Stiefel lecken würden. Könnte also bitte irgendjemand in der Regierung einmal das etwas größere Bild sehen und dem Arbeitsminister seinen Job erklären? Der Krieg um die Ukraine wird auch auf dem deutschen Arbeitsamt gewonnen, capisce? An der bayerischen Landesvertretung hingen am Wochenende die Fahnen übrigens wieder. Noch ist die Ukraine nicht verloren.

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